Neue Therapie nach einem Herzinfarkt

Die Firma 4Teen4 entwickelt ein Mittel, das Patienten vor dem Tod durch Organversagen nach einem Herzinfarkt bewahren soll – ein Milliardenmarkt.

Bei der Arbeit von Andreas Bergmann geht es um Leben und Tod. Um die Frage, wie man verhindern kann, dass Menschen an den Folgen eines Schocks versterben. Eines kardiogenen Schocks, der durch einen Herzinfarkt ausgelöst werden kann. Oder eines septischen Schocks – als Folge einer Blutvergiftung. Der Biochemiker hat ein bestimmtes Enzym im Blut als eine wesentliche Ursache für den Tod durch einen Schock identifiziert. Und er hat mit seiner Firma 4Teen4 Pharmaceuticals ein Medikament entwickelt, das dieses Enzym neutralisiert. In ein paar Jahren, so seine Vision, soll dieses Mittel auf Intensivstationen zum Therapiestandard gehören.

„Mich hat bei meiner Arbeit schon immer der Wunsch angetrieben, die Sterblichkeit von Menschen zu reduzieren. Ich möchte etwas entwickeln, das einen echten klinischen Nutzen hat“, sagt der 62-Jährige über sich. Jedes Jahr sterben in Deutschland 100.000 Menschen an den Folgen eines septischen Schocks. Und nach einem Herzinfarkt tritt bei etwa zehn Prozent der Patienten ein kardiogener Schock auf. Rund die Hälfte von ihnen stirbt dann an Organversagen, weil das Herz nicht mehr genug Kraft hat, die Organe ausreichend mit Blut zu versorgen.

Das Thema Sepsis treibt Bergmann seit Jahr-zehnten um. In seiner ersten Labordiagnostik-Firma namens Brahms, die er 1994 gemeinsam mit vier Mitstreitern gründete, entwickelte er unter anderem einen Bluttest zur Früherkennung der Sepsis. Der Test wurde im Krankenhaus zum Standard. 15 Jahre später verkauften die Gründer Brahms für knapp 500 Millionen Dollar an den US-Konzern Thermo Fisher. Anschließend starteten sie die Firma Adrenomed, die ein Medikament gegen eine spezifische Form der Sepsis ent-wickelt. Bereits 2002 hatte Bergmann die Firma Sphingotec gegründet, die diagnostische Tests für die Intensivmedizin anbietet. Mittlerweile ist der gebürtige Berliner an diesen Firmen nur noch beteiligt. Operativ tätig ist er derzeit ausschließlich bei 4Teen4 in Hennigsdorf bei Berlin.

Der Name 4Teen4 geht auf das Enzym zu-rück, das Bergmann als eine wesentliche Ursache für den septischen Schock identifiziert hat. Es heißt Dipeptidyl-Peptidase 3, kurz DPP3, und hat in dem in der Branche international verwendeten Enzymkatalog die Nummer EC 3.4.14.4. Die letzten drei Ziffern gaben den Namen für die neue Firma. Das Enzym entdeckte Bergmann, als er in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten das Blut von Patienten mit septischem Schock analysierte. „Ich wollte die Zusammen-hänge, warum ein Mensch an Sepsis stirbt, auf molekularer Ebene verstehen“, sagt er.

Bergmann fand heraus, dass das Enzym DPP3 von absterbenden Zellen freigesetzt wird. Tritt es dann ins Blut über, zerstört es völlig unkontrolliert das Hormonsystem, das für die Aufrechterhaltung des Kreislaufsystems verantwortlich ist. Die Folge: Kreislaufversagen, Mangeldurchblutung, Multiorganversagen und schließlich der Tod. Das Forschungsteam hat Blutproben von mehr als 100.000 Menschen untersucht und he-rausgefunden, dass DPP3 auch beim kardiogenen Schock eine Rolle spielt. „Die Regel lautet: Immer wenn man erhöhtes DPP3 im Blut hat, hat man den Schock oder wird ihn erleiden und mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent daran versterben“, sagt Bergmann.

Die Wissenschaftler machten sich daran, ein Gegenmittel zu entwickeln, das den negativen Effekt von DPP3 neutralisiert. Der Antikörper na-mens Procizumab wurde erfolgreich in Tierversuchen getestet. Und bei drei todgeweihten Menschen mit Schock konnte das Mittel – eingesetzt im medizinischen Heilversuch im Krankenhaus – das Leben zumindest etwas verlängern.

Bisher wurde der Wirkstoff in einer ersten klinischen Studie an Freiwilligen mit Erfolg auf sei-ne Sicherheit und Verträglichkeit hin getestet. „Wir stehen jetzt an dem Punkt, dass wir das Medikament bis in den Markt entwickeln wollen“, sagt Bergmann. Das Ziel ist, die Wirksamkeit von Procizumab bei 500 Patienten mit kardiogenem oder septischem Schock zu belegen.

Um das zu finanzieren, ist das Team von 4Teen4 auf der Suche nach Investoren. Rund 50 Millionen Euro will das Unternehmen in einer neuen Finanzierungsrunde einsammeln. Bisher hat Bergmann 4Teen4 vor allem mit Unterstützung von Einzelinvestoren aus dem privaten und beruflichen Umfeld finanziert. Über Finanzchef Kilian von Seldeneck kam beispielsweise die Görlich-Gruppe ins Boot, deren ursprüngliches Geschäft Immobilienbeteiligungen im In- und Ausland sind. „Wir waren vergangenes Jahr in Berlin auf einer Fachkonferenz mit international anerkannten Kardiologen. Als wir gesehen haben, wie begeistert die von 4Teen4 waren, haben wir be-schlossen, mit unserer Familiengesellschaft in das Unternehmen zu investieren“, sagt Maximilian Görlich, einer der Geschäftsführer der Görlich-Gruppe.

Im Anschluss an die direkte Beteiligung ha-ben die Görlichs dann einen Fonds aufgelegt, mit dem professionelle und vermögende Investoren sowie Family-Offices angesprochen werden. „Mit diesem Fonds haben wir bereits zehn Millionen Euro in 4Teen4 investiert mit der Option, weitere Anteile zu zeichnen“, ergänzt Bruder Hendrik, ebenfalls Geschäftsführer der Gruppe, die die aktuelle Finanzierungsrunde als Leadinvestor anführt.

Der Nachweis, dass der Antikörper wirkt, soll bis 2027 gelingen. „Wenn wir bewiesen haben, dass das Medikament die Sterblichkeit der Patienten mit Schock signifikant senken kann, dann wollen wir es schnellstmöglich gemeinsam mit Partnern in die Anwendung bringen“, sagt Berg-mann. Biotech-Experte Peter Neubeck, Partner beim Wagniskapitalgeber Kurma Partners, der nicht bei 4Teen4 investiert ist, findet den wissenschaftlichen Ansatz von 4Teen4 „zielgerichtet und sehr interessant“. Das Therapeutikum habe das Potenzial für einen sehr großen Nutzen, meint er.

Aber der Bereich Intensivmedizin sei schwierig, zum einen wegen der hohen Entwicklungsrisiken, zum anderen wegen des im Vergleich zu chronischen Erkrankungen limitierten Umsatzpotenzials. „Das könnte eine Hürde sein, die großen Pharmaunternehmen von einer Partnerschaft zu überzeugen“, sagt er. Bergmann wiederum ist überzeugt, dass ein Partner gefunden werden kann. „Wir haben eine Alleinstellung, und das Medikament hat ganz klar Blockbuster-Qualität“, sagt er. Das Unternehmen schätzt das Marktpotenzial weltweit auf rund zwölf Milliarden Dollar Jahresumsatz.